Bei unserer Heimkehr stellte sich heraus, daß Alfred Leo- bold und Alois Sägerer gerade um eine Flasche Sekt eine Schachpartie vereinbart hatten. Schrecklos betrat der Tod- geweihte auch diese Bahn des Grauens. Mit einem Rest von Geistesgegenwart schrieb ich die Partie sofort mit; wenn ich es recht verstanden habe, eine Variante der Französischen Verteidigung, die Campiller Champagner-Verteidigung, CCV, dargeboten vom Christlichen Club Verendender, o Gott--- Sägerer (weiß) - Leobold (schwarz) l. e4 - e6 2. d4 - d6 3. Sc3 - f6 4. Sf3 - e5 5. d5 - a5 6. Lb5 - Ld7 7. De2 - L x L 8. D x L - Kf7 9. Db7 - Ta6 Hier zog Alfred Leobold zuerst Ta7, korrigierte sich aber sofort mit den Worten "Nein, anders, Mensch, ist mir schlecht." 10. Sb5 - Sh6 11. Sc7 - Tc6 12. Se6 - Kg8 13. Lh6 - gh6 14. Sh4 - De8 15. Sf5 - Le7 Eine folgenschwere Entscheidung. Ein letztes Aufbäumen des Willens, ein beherztes Abbröckeln jeder Vernunft, der Welt melden Weise nichts mehr... 16. Dc8 - D x D 17. 0-0 - Tc2 18. h3 - Tb2 19. Tb1 - Dc2 20. a3 - An dieser Stelle sah Alfred Leobold Alois Sägerer so er- staunt und doch halb ängstlich an wie Boris Spassky seinen Widersacher Bobby Fischer beim berühmten vergifteten Läuferzug in der ersten Turnierpartie 1972. Zog aber dann korrekt: - ... TxT 2l. T x T - D x T 22. Kh2 - De4 23. g4 - Ld8 24. a4 - Lb6 25. h4 - Le3 26. f x L - Dg4 27. Sh6 matt. Alfred Leobold versuchte zwar noch, nach einigen Minu- ten Dämmerns, indem er seine Dame auf g7 postierte, das Matt zu decken, aber Alois Sägerer sagte barsch "Geht nicht!" und nippte bereits froh an seinem Sekt. Ich meine, gemessen an der Kaltblütigkeit, mit der Weiß den längst errungenen Sieg auf des Messers Schneide hatten stehen las- sen, immer dem Risiko ausgesetzt, der blanke Unfug möchte Schwarz noch in den Sieg hineintaumeln lassen, bekam Sä- gerer den Champagner zu Recht. Was aber war dieses ordi- näre Hasardspiel schon gegen Alfred Leobolds Schlußwort, nachdem er einige Minuten, die Wange in die rechte Hand gestützt, das Schachbrett betrachtet hatte und schließlich zur Einsicht gekommen war, daß Dg7 nichts bringt: "Prima Partie, Sägerer", lächelte er charmant und mit dem leisen Vorwurf des eigentlichen Siegers im Antlitz, dem nur die Kraft des Unberechenbaren einen Streich gespielt hatte, wie das ja auch einem Aljechin hin und wieder pas- siert ist, "bist ein prima Kerl. Ein Hund. Genau, das hab ich übersehen da hinten." Wie sagte doch der große Tartakower? "Die Fehler sind das Salz des Schachspiels." Genau. |
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